
Es gibt eine Generation von Deutschen, die sich als Rebellion gegen frühere Varianten des Faschismus in Deutschland präsentieren – als Symbol der Freiheit. Dies manifestiert sich im sexuellen Diskurs, in der Therapiekultur und in der Rhetorik von Zustimmung und Fürsorge. Es verspricht die Fantasie der Befreiung von älteren Herrschaftsregimen. Doch ist es wirklich anders?
Ähnlich wie die Beschwerden jenseits des Atlantiks warnte Malcolm X uns vor dem Unterschied zwischen dem Schaf und dem Wolf; die Evolution des Faschismus hat mit neuen Technologien der Selbstüberwachung, emotionaler Transparenz und dem moralischen Imperativ, markiert zu sein, Fortschritte gemacht. Wir benötigen keinen Stern mehr auf dem Ärmel, sondern erreichen dies durch Selbstbekenntnis und Überwachungskapitalismus.
Das Ziel dieser Struktur ist nicht nur die Datenextraktion, sondern die Eliminierung von Unvorhersehbarkeit. Alle Transaktionen sollen reibungslos verlaufen. Der Körper hingegen, insbesondere derjenige, der Reibung verursacht, wird eliminiert. Dies wurde über Iterationen hinweg verbessert, wobei jeder Schritt die Klassifizierung, Dokumentation, Lesbarkeit verbessert und sich in das Mikromanagement des Privatlebens ausweitet. Innerhalb der deutschen sex-positiven Szene können Sexualpartner wie ein Datensatz behandelt werden: Wünsche müssen offengelegt, Grenzen definiert, Geschichten geteilt werden. Jede Begegnung wird kartiert. Nichts bleibt unaufgezeichnet.
Dennoch besteht eine ständige Angst, übermäßig überwacht zu werden. Aber diese Perversion wird verleugnet, verdichtet und verdrängt. In diesem neuen Software-Update, diesem neuen affektiven Regime, wird Transparenz zum höchsten Wert.1 Sie ermöglicht nicht nur Nähe, sondern verhindert auch Störungen. Das Unbekannte wird nicht erotisiert. Das Erotisierte darf nicht unbekannt bleiben. Das Unbekannte ist eine Sicherheitsbedrohung, die verbannt werden muss.
Deutschland hatte schon immer eine Obsession mit Dokumentation. Einst unterstützt durch IBM in den Konzentrationslagern, durch Bücher, Akten und bürokratische Aufzeichnungen, wird dies nun durch digitale Archivierung beschleunigt.2 Emotionale Geschichten können in Apps kuratiert werden. Therapiesprache wird standardisiert. Sexuelle Vorlieben werden kategorisiert, indexiert und umsetzbar gemacht. Sogar Beschwerden werden in die Maschine eingespeist und daraus gelernt. Rebranding und Aufwertung fördern die Integration.
Die faschistischen Uniformen und der Stechschritt der Großeltern sind passé. Zentralisierte Visionen sind nicht mehr notwendig. Uniformen können dezentralisiert und fragmentiert sein.
Der neue Autoritarismus ist glatt, therapeutisch und konsensual. Offene Grundrisse, flache Hierarchien, Freibier und Tischtennis.
Strukturell leben wir innerhalb des vierten Reiches. Es ist nicht mehr das alte Betriebssystem einer nationalistischen Fantasie, sondern eine globale Infrastruktur. Grundsätzlich bewahrt es jedoch die gleiche Logik: Unordnung durch totale Erfassung zu eliminieren. Ambiguität durch Lesbarkeit zu neutralisieren, symbolische Spannung durch Verhaltenskonformität zu ersetzen.
Aber dies ist ein System der Intoleranz. Intoleranz gegenüber Widersprüchen. Es wird jedes Element angreifen, das versucht, disparate Realitäten zu verknüpfen. Vergleiche, Beobachtungen, Diskussionen über Vergangenheit und Gegenwart, Privates und Politisches, inneres Leben und Historisches sind unmöglich. Daher wird wirklich störende Rede, die das wirklich Tabu verbindet: Rasse, Verlangen, Schuld und Imperium, nicht mit Debatte, sondern mit Schweigen, Verwirrung oder moralischer Zurechtweisung begegnet.
Repression ist nicht Teil des vierten Reiches. Das neue Betriebssystem bricht die Verbindung, bevor sie sich überhaupt bilden kann. Es durchtrennt die Bedeutungskette, bevor sie politisch oder psychologisch destabilisierend wird. Das ist die Funktion des vierten Reiches.
Der deutsche Subjekt glaubt, post-faschistisch, post-national, post-autorität und post-kolonial zu sein. Die Struktur bleibt jedoch unverändert. Es hat lediglich ein kleines Software-Update erhalten.
Die Forderung nach Transparenz ist die Angst vor Widerspruch. Es ist die Obsession mit Prozessen. Es gibt vor, unschuldig zu sein, aber es ist anti-intellektuell. Was bleibt, ist eine Gesellschaft, die emotional analphabetisch bleibt.3 Sie scheint sexuell offen zu sein. Sie ist so sexuell offen wie die pädophilenbesessenen Gesellschaften des Imperiums. Man ist frei, seinen Körper zu verkaufen, aber die Option ist nicht verhandelbar. Es ist ein System der Vermeidung.
Die Geschichte ist ausgeschlossen. Daher kann keine Begegnung verarbeitet werden. Sie wird einfach nicht registriert.
So funktioniert das vierte Reich. Es bedarf keiner Paraden oder Propaganda mehr. Dies ist die emotional flachmachende Hierarchie des Alltagslebens.
The Fourth Reich: Transparency, Therapy, and the New Obedience
How Sex-Positive Language, Emotional Disclosure, and Digital Control Mask a New Authoritarian Order
[English audio commences at 5:55]
There is a generation of Germans who introduce themselves as a rebellion against earlier variations of fascism in Germany, as a symbol of freedom. It is presented in sexual discourse, in the therapy culture, and the rhetoric of consent and care. It promises the fantasy of liberation against older regimes of domination. Though is it truly different?
Similar to the complaints across the Atlantic, Malcolm X warned us of the difference between the sheep and the wolf; the evolution of fascism has progressed with new technologies of self-surveillance, emotional transparency, and the moral imperative to be marked. We no longer need the star on one’s sleeve, but through self-confession and surveillance capitalism.
The goal of this structure is not just to extract data, but to eliminate unpredictability. To smooth all transactions. The body, on the other hand, particularly that which causes friction, is eliminated. This has been improved over iterations, with each step enhancing classification, documentation, legibility, and expanding into micro-management in the private sphere. Within the German sex positive scene, sexual partners can be approached like a dataset: desires must be disclosed, boundaries defined, histories shared. Every encounter is mapped. Nothing is left unrecorded.
Yet, there is a constant anxiety of being overtly surveilled. But this perversion is disavowed, condensed and displaced. This new software update, this new affective regime, transparency becomes the highest value. Not only does it enable closeness, but it prevents disruption. The unknown is not eroticized. The eroticized is forbidden to remain unknown. The unknown is a security threat that must be banished.
Germany has long had an obsession with documentation. It was once assisted, with the help of IBM, at the concentration camps, through ledgers, files, and bureaucratic records, now is expedited through digital archiving. Emotional histories can be curated on apps. Therapy language is standardised. Sexual preference is categorised, indexed and made actionable. Even complaints are fed and learned through the machine. Rebranding and elevation furthers integration.
Grandparents' fascist uniforms and goosesteps are so last year. We no longer need centralised visions. Uniforms can be decentralised and fractionalized.
The new authoritarianism is smooth, therapeutic, and consensual. Open floor plans, flat hierarchy, free beer and ping pong.
Structurally, we have been living within the fourth Reich. It is no longer the old operating system of a nationalist fantasy, but as a global infrastructure. Fundamentally, however, it preserves the same logic, that is, to eliminate disorder through total capture. To neutralise ambiguity through legibility, to replace symbolic tension with behavioural compliance.
But this is a system of intolerance. Intolerance of contradiction. It will attack any elements that attempt to link disparate realities. Any comparisons, observations, discussions of past and present, private and political, inner life and historical are impossible. Hence, truly disruptive speech, that which connects the truly taboo: race, desire, guilt and empire, is not met with debate, but with silence, confusion or moral rebuke.
Repression is not part and parcel of the Fourth Reich. The new operating system breaks the link before it has any ability to cohere. It serves the chain of meaning before it becomes politically or psychologically destabilising. This is the function of the Fourth Reich.
The German subject believes they are post-fascist, post-national, post-authoritarian, and post-colonial. However, the structure remains unchanged. It simply has a minor software update.
The demand for transparency is the fear of contradiction. It is the obsession with process and progress. It feigns innocence, but it is anti-intellectual. What is left is a society that remains emotionally illiterate. It appears to be sexually open. It is as sexually open as the pedophilic-obsessed societies of empire. One is free to sell one’s body, but the option is not negotiable. It is a system of avoidance.
History is foreclosed. Hence, no encounter can be processed. It simply does not register.
This is how the Fourth Reich operates. There is no longer a requirement for parades or propaganda. This is the emotionally flattening hierarchy of everyday life in what we still now call, Germany.
Han, Byung-Chul: Transparenzgesellschaft. Berlin: Matthes & Seitz, 2012.
Black, Edwin: IBM und der Holocaust. Die strategische Allianz zwischen dem Dritten Reich und Amerikas mächtigstem Konzern. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Rhiel. Berlin: Goldmann, 2001.
Theweleit, Klaus: Männerphantasien. Band 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte. Frankfurt am Main: Verlag Roter Stern, 1977.
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